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Die Glarner Landsgemeinde und ihre pionierhaften Entscheidungen

Am Sonntag, 5. Mai 2024, findet die diesjährige Glarner Landsgemeinde statt. Wir blicken zurück auf pionierhafte Entscheidungen der Glarner Landsgemeinde…..

Seit über einem halben Jahrtausend entscheidet die Glarner Landsgemeinde als gesetzgebende Versammlung über Recht und Ordnung. Die Glarner Landsgemeinde ist die direkteste Form der Demokratie. Jeder hat das Recht seine Meinung zu einem Traktandum kundzugeben und Anträge zu stellen. Diese besondere Form der Demokratie hat in seiner langen Geschichte zu vielen berühmten und pionierhaften Entscheiden geführt, von denen viele ihrer Zeit voraus waren. In diesem Beitrag werden nur einige der vielen Entscheide aufgegriffen.

Stimmrechtsalter 16

Eine der berühmtesten Entscheidungen der Glarner Landsgemeinde war die Einführung des aktiven Stimm- und Wahlrechtsalter 16 im Jahre 2007. Dieser Entscheid basierte auf einem Memorialsantrag der Jungsozialisten.

Memorialsanträge sind auch eine Besonderheit des Kantons Glarus. Mit diesem Werkzeug können Stimmberechtigte ein eigenes Anliegen der Landsgemeinde vorlegen. Das Instrument des Memorialsantrags ermöglicht eine so direkte und weitgehende Mitsprache, wie sie nirgendwo sonst in der Schweiz möglich ist.

Nach der rechtlichen Prüfung entscheidet der Landrat über die Erheblichkeit des Antrags. Um einen Antrag als erheblich zu erklären braucht es gerade einmal zehn Stimmen. Dies ist eine sehr niedrige Schwelle. Der Landrat entscheidet hierbei nicht aufgrund persönlicher Befindlichkeiten ob der Antrag inhaltlich ihrer Meinung entspricht, sondern rein objektiv darüber ob das Anliegen wichtig und erheblich erscheint und dadurch der Landsgemeinde zum Entscheid vorgelegt werden soll. Parteiinteressen treten hierbei in den Hintergrund.

Durch die Annahme des Memorialsantrags führte der Kanton Glarus als erster und bis heute einziger Kanton das Stimmrechtsalter 16 ein. Viele Kantone haben seither versucht, dieses auch einzuführen. Jedoch war keine dieser Bestrebungen erfolgreich und das obwohl das aktive Stimm- und Wahlrecht im Kanton Glarus durchwegs als positiv wahrgenommen wird. Auch auf Bundesebene hat das Parlament das nationale Stimm- und Wahlrechtsalter 16 auf absehbare Zeit begraben. Der Kanton Glarus wird somit weiterhin der einzige Kanton bleiben, in dem man mit 16 Jahren am politischen Geschehen teilhaben und mitbestimmen kann.

Die erste Kantonale Alters- und Invalidenversicherung 1916

Im Jahre 1916 stimmte die Glarner Landsgemeinde der ersten kantonalen Alters- und Invalidenversicherung zu. Es handelt sich um die erste obligatorische Sozialversicherung seiner Art. Heutzutage bestreitet kaum noch jemand die Wichtigkeit der AHV. Trotzdem entstand auf Bundesebene erst 32 Jahre später im Jahre 1948 die AHV. Der Kanton Glarus war somit erneut seiner Zeit voraus und nahm eine Vorreiterrolle ein.

Die Glarner Bevölkerung genoss durch diese Versicherung einen viel höheren finanziellen Schutz im Alter oder im Fall der Invalidität. Als Vorreiter wies der Kanton Glarus den Weg für die Bundesgesetzgebung der AHV 1948.

Das Fabrikgesetz von 1864

An der Landsgemeinde 1864 wurde das erste Gesetz erlassen, welches die Beschäftigung von Erwachsenen regelte. Es wurden Arbeitstage von maximal elf Stunden pro Tag und samstags zehn Stunden eingeführt. Es handelt sich um das erste Gesetz in Europa, welches einen Normalarbeitsvertrag für Erwachsene vorschrieb. Des Weiteren wurde die Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren, die Nacht- und Sonntagsarbeit, verboten. Erstmals wurden Fabrikbetreiber gezwungen Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer einzuhalten. Auch dieser Entscheid basierte auf einem Memorialsantrag.

Dieses Fabrikgesetz war seiner Zeit voraus. Der Kanton Glarus wurde zum europaweiten Vorreiter in Sachen Arbeitsschutz. Ob ein solcher Entscheid zur damaligen Zeit auch ohne das Werkzeug des Memorialsantrags oder der Landsgemeinde zu Stande gekommen wäre, ist äusserst fraglich. Rückblickend erscheint es aber als logische Konsequenz, dass der Kanton Glarus mit seiner sehr starken Industrialisierung und der damit einhergehenden Verelendung der Arbeiterschicht und seinen direktdemokratischen Mitteln der erste Ort war, der seine Arbeiter gesetzlich schützte.

Die Landsgemeinde und das Frauenstimmrecht

Obwohl die Landsgemeinde in vielerlei Hinsicht progressive Entscheidungen gefällt hat, sieht es beim Frauenstimmrecht anders aus. Zwar war der Kanton Glarus der erste Landsgemeindekanton, der das Frauenstimmrecht im Jahre 1971 eingeführt hat. Jedoch hätte dieser Entscheid auch wesentlich früher gefällt werden können.

So wurde im Jahre 1921 ein Antrag an die Landsgemeinde gestellt, der zwar Frauen weiterhin von der Teilnahme an der Landsgemeinde ausschliesst, sie aber berechtigt hätte an den Gemeindeversammlungen und der Landsgemeinde Anträge zu stellen. Dieser Antrag wurde von der Landsgemeinde aber verworfen.

Auch der Versuch das Frauenstimmrecht im Jahre 1959 einzuführen wird von der Landsgemeinde niedergeschmettert. Schliesslich war es erst 1971 soweit.